Vortrag von Carsten Möhle alias Bwana Tucke-Tucke in der EXPERIMINTA in Frankfurt am 28.03.2018
"Ein deutscher Offizier beabsichtigt, Afrika mit dem Automobil zu durchqueren. Er scheint nicht zu wissen, dass es im Hinterland des schwarzen Erdteils weder Benzin noch Öl noch Reifen zu kaufen gibt. Der Plan dieses Herrn kommt auf dasselbe heraus, als wolle er eine Reise zum Mond unternehmen..." schrieb eine Berliner Zeitung am 12. März 1907 zum Vorhaben des Paul Graetz, das Carsten Möhle in seinem 9. Vortrag in der trotz Verkehrschaos wieder sehr gut besuchten EXPERIMINTA in Frankfurt vorstellte. Der erstmaligen motorisierten Durchquerung Afrikas von Daressalam nach Swakopmund von 1907 bis 1909 stellte er eine Tour auf gleicher Route im Jahr 2016 gegenüber.
Paul Graetz (geb. 1875 in Zittau) war Offizier in der kaiserlichen Armee. Als Belohnung für einen Orden im Jahr 1901 wurde er auf eigenen Wunsch für eineinhalb Jahre in die damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika versetzt. Dort war er für Straßenbau zuständig, aber mangels Haushaltsmitteln und Fahrzeugen wurde der Auftrag nach 9 Monaten abgesagt. Wieder in Heimat begann er eine Afrikaquerung mit einem Automobil auf eigene Faust und Rechnung zu planen. Mit seinem Austritt aus der Armee galt er als Zivilist, der sein Verhalten selbst zu verantworten hatte.
Er beauftragte die süddeutsche Automobilfabrik Gaggenau, einen Vorläufer der Mercedes Benz-Werke, ein Spezialgefährt zu bauen. Die Sonderanfertigung hatte 35 cm mehr Bodenfreiheit als üblich und zwei Tanks, die zusammen 375 Liter Benzin fassten. Das Fahrzeug wurde nach Dar-Es-Salaam im heutigen Tansania verschifft, außerdem wurden ein Tankstellennetz sowie 24 Ersatzteillager, teils als Gräber getarnt, errichtet.
Am 10. August 1907 begann Graetz seine abenteuerliche Reise, die Carsten Möhles kombinierter Dia-/Filmvortrag unter Verwendung von historischen Originaldias beschreibt, die ihm von Graetz´ Tochter überlassen worden waren. Auch mit welchen Erlebnissen und Schwierigkeiten man heutzutage auf dieser Strecke zu rechnen hat, teilt er informativ wie anschaulich und unterhaltsam mit. Noch immer können die Straßen recht abenteuerlich sein wenn auch die Fahrzeuge anders gebaut sind, so dass man beispielsweise tiefer durch Wasser fahren kann. Aber, so Herr Möhle, "Autofahren und Afrika gehören nicht so richtig zusammen, auch heute noch".
Am 1. Mai 1909 erreichte Graetz nach 630 Tagen schließlich sein Ziel Swakopmund im heutigen Namibia. Und er ließ es sich nicht nehmen, der Berliner Zeitung eine Postkarte mit den Worten "Bin auf dem Mond angekommen, Paul Graetz" zu schicken.
Bis dahin hatte er nicht nur mit geplatzten Zylindern, eingestürzten Brücken und abgerissenen Hinterachsen zu kämpfen, sondern auch mit verdunsteten Benzinvorräten, einem geflüchteten Chauffeur, Geld- und Wassermangel sowie Krankheiten. Über 40-mal musste das Fahrzeug vollständig zerlegt werden. Ersatzchauffeur und Ersatzteile sanken gar mit dem Schiff, das sie bringen sollte. Der Wagen wurde mehrmals generalüberholt, auf manchen Strecken musste er von Ochsen gezogen werden. Um auf der Tour etwas zu verdienen hielt Graetz einige Vorträge. So auch als er sich für drei Tage in Windhoek aufhielt. Damals gab es in der Kolonie nur drei Autos.
Zurück in Deutschland wurde Graetz vom Kaiser empfangen. Europaweit hielt er erfolgreich Dia-Vorträge und hatte nun kein Problem mehr, Sponsoren für seine Unternehmungen zu finden. 1911 startete er eine Expedition um mit einem Motorboot von Mosambik durch den afrikanischen Kontinent zum Atlantik zu reisen, die aber auf halber Strecke scheiterte. Bei einer zweiten Bootsexpedition im Jahr 1912 gelang es ihm, Afrika über den Congo-Fluss zu queren. Eine für 1914 geplante Luftschiff-Vermessungs-Expedition nach Papua-Neuguinea verhinderte der Erste Weltkrieg.
Daneben gründete er die deutsche Aero Lloyd, die später in die Deutsche Lufthansa aufgenommen wurde und in den 1920er Jahren die erste Glasfabrik in Indonesien. Im Jahr 1968 starb er im Alter von 92 Jahren in Travemünde.
Und was wurde aus dem Fahrzeug? Im Mai 1910 hatte es noch in Gaggenau gestanden. Gratz wollte es verkaufen, aber er verlangte zu viel Geld dafür. Wahrscheinlich wurde es später für Kanonen eingeschmolzen.