Vortragsveranstaltung von Carsten Möhle alias Bwana Tucke-Tucke im Auguste-Oberwinter-Haus in Frankfurt am 28.04.2022
Nach langer Zeit konnten wir endlich wieder zu einem Vortrag von Carsten Möhle einladen, der den Tourismus in Namibia einmal aus einer ganz anderen und ungewöhnlichen Perspektive beleuchtete - auf Safari mit den San.
Die lebenden Museen in Namibia werden jährlich von tausenden Touristen besucht, doch wohin geht die Reise für die Naturvölker? Und wie ist es, wenn die San einmal selbst als Touristen auf Reisen gehen? Dies berichtete Carsten Möhle anschaulich und unterhaltsam in seinem wie immer sehr zahlreich besuchten Vortrag, diesmal in einer neuen Location, dem Auguste-Oberwinter-Haus.
Es war eine außergewöhnlichen Reise, die er organisiert hatte und begleitete. Sie verriet einiges über die moderne Welt der Buschleute und zeigte auch wieviel Spaß ein Perspektivenwechsel machen kann.
Geplant war mit 25 Buschmanndarsteller des Lebenden Museums der Ju/Hoansi auf Safari zu gehen, als Thema war "Mythologische Reise zum Wasser" gesetzt. Es kamen 38 San-Urlauber, vom Säugling bis zum Senior, mit wenig Gepäck neben ihrer schier grenzenlosen kindlichen Neugier - hatten sie doch noch nie einen Berg, noch nie Buschmannfelszeichnungen gesehen und konnten sich ein Meer gar nicht vorstellen. Aber sie wollten das Gefühl der Freiheit, des Genusses erleben.
Dass Reisen den Menschen mit dem Versprechen verkauft werden, sie würden in den "schönsten Wochen des Jahres" paradiesische Lebensbedingungen vorfinden, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Aber wie bringt man Buschmanndarsteller, die höchstens mal Verwandte besuchen, dazu eine 80 Tage Fußreise um ihre kleine Welt in nur zehn Fahrtagen zu unternehmen? Man ködert sie mit den Verlockungen der Fremde und der Möglichkeit, Ihre Kultur und ihr Projekt Lebendes Museum in anderen Teilen Namibias vorzustellen und Ihre selbst hergestellten Jagdwaffen und Schmuckstücke auf fremden Märkten verkaufen zu können. Für ihr Taschen-, bzw. Reisegeld mussten sie denn auch etwas tun: Souvenirs herstellen und verkaufen, Tänze und ihre Kultur präsentieren. Sie erhielten eine Kamera, auch um auf diese Weise herauszufinden, welche Motive für die San interessant waren. Tagesziel war der Etosha Nationalpark. Dort wie auch auf der Onguma Gästefarm wurde der Tierreichtum, besonders der der essbaren oder anders verwertbarenTiere wie Gnu, Zebra und Springbock bestaunt und war Thema ihrer Unterhaltungen - „Das Leder gäbe auch hervorragende Sandalen“. Elefanten oder Nashörner hingegen waren vergleichsweise uninteressant. Und eine zum Greifen nahe Löwin neben dem VW-Bus löste eher Erschrecken aus.
Nächstes Highlight war ein Buffet auf der Mokuti Lodge mit vielen neuartigen Dingen. NachTanzvorführungen am Abend und einem nahezu Ausverkauf der Schmuckartikel waren neben Magen auch die Reisekasse gefüllt. Von Etosha ging es weiter zur Küste. Steine, die es bei ihnen in der Kalahari ja nicht gab, waren so begehrt als Sammelobjekt, dass sie auf drei Stück pro Erwachsenen begrenzt werden mussten um den Bus nicht zu überladen. Auch der Besuch anderer Lebender Museen stand auf dem Programm, wie das der Damara. Wieder gab es Vorträge, Vorführungen mit Gesang und Musik. Sie stellten fest, dass das Feuermachen wie bei ihnen funktionierte. Die Fotos, die sie schossen, zeigten: einmal Landschaft, zweimal Tiere, alle anderen die Familienangehörigen. Bei den Bäumen, die sie sahen, spielte das Ästhetische keine Rolle. Wichtig war der Verwertungscharakter, der schon bei den Tieren in erster Linie zählte.
Keiner der Buschleute hatte bisher einen Berg gesehen. Felskunst, Gravuren gibt es nicht in der Kalahari. Lebhaft wurden daher die 1.500 – 2.000 Jahre alte Felszeichnung „Weiße Dame vom Brandberg“ und die Felsgravuren bei Twyfelfontein diskutiert. Relativ schnell war man sich darüber einig, dass es sich bei der „Weißen Dame“ um eine männliche Schamanendarstellung handelt, da Frauen in ihrer Kultur niemals die männliche Jagdausrüstung anfassen durften, denn das bedeute Unglück auf der Jagd. Aber zu ihrer Meinung gefragt, was die Gravuren bedeuten, meinten sie, es sei "Graffitti, aus Langeweile beim Warten gezeichnet".
Schließlich ging es zur Küste und zur Robbenkolonie. Die Buschleute sahen das Meer zum ersten Mal im Leben als die Gruppe am Kreuzkap an den Strand fuhr. Die Robben fanden sie besonders spannend, wenngleich es ein Geräusch- und Dufterlebnis der besonderen Art war. Ohne eine Bezeichnung für Robben zu kennen, nannten sie sie "nasser Hund". Vögel wie Pelikane, Flamingos und Möwen ließen sie völlig unbeeindruckt. In Swakopmund folgte dann der Kulturschock, denn es gab einfach zu viele Menschen und Autos.
Seit Jahren engagiert sich Bwana Tucke-Tucke gemeinsam mit anderen Reiseveranstaltern und vor allem der Living Culture Foundation Namibia dafür, dass die Naturvölker Namibias durch Beschäftigung mit ihrer traditionellen Kultur in der Lage sind, ein besseres Leben im modernen Namibia führen zu können. Dies geschieht unter anderem durch aktive Mithilfe bei der Errichtung lebender Museen. Ein Lebendes Museum ist im Prinzip eine Siedlung eines einheimischen Volkes, die so errichtet wurde wie Siedlungen dieses Volkes gebaut waren, ehe der europäische Einfluss begann. Die Akteure des Museums kleiden sich zu den Dienstzeiten historisch korrekt und bieten Aktivitäten an, die damals üblich waren.
Die Ziele solch eines Museums sind ein gesichertes Einkommen für die ortsansässige Bevölkerung zu schaffen und der touristischen Landschaft eine neue Attraktion hinzuzufügen. Auch soll es eine Geschichtsschule für Mitglieder des eigenen Stammes und anderer Namibier sein und ein Ausbildungsort um mit diesen erlernten traditionellen Fähigkeiten auch außerhalb des Museums seinen Unterhalt verdienen zu können. Doch wer will wie früher leben? - lautete eine Frage im Anschluss. Rund 10% der Jugendlichen unter den San interessieren sich für früher. Wichtig sei vor allem, dass eine Wahlfreiheit gelassen wird. Eine solche Reise ist bislang fünfmal durchgeführt worden, erfuhren wir, einmal - auch aus finanziellen Gründen - zusammen mit ausländischen Touristen. Und eine Tour gemeinsamen mit ausländischen Touristen ist auch wieder geplant.